Wer die wenigen Höhenmeter von Groß Denkte oder die Schritte vom öffentlichen Parkplatz an der Auffahrt zum „Falkenheim“ nicht scheut, der findet links vor der Einfahrt zum Falkenheim eine Fläche aus Obstbäumen und Grünland vor.
Es handelt sich bei dieser Fläche um eine sogenannte „Streuobstwiese“. Geprägt hat den Begriff der Ornithologe Bruno Ullrich, der in einer Publikation auf die besondere Bedeutung der Streuobstwiesen im Albvorland für den Vogelschutz hinwies.
Die Idee der Streuobstwiese ist die der Doppelnutzung: Zum einen die Nutzung von Obst aus Hochstammbäumen und zum anderen die Grünlandnutzung.
Wie vieles in Europa geht der Kulturanbau von Obst auf die Römer zurück, die diese Pflanzen nach Mitteleuropa einführten. Da die sandalentragenden Römer aber von den feuchtigkeitsgewohnten Germanen in den Sümpfen des Teutoburger Waldes an weiterer Expansion gehindert wurden, dauerte die Einführung des Kulturobstes hier in der Region etwas länger.
Die Landesherren erkannten aber im 17. und 18. Jahrhundert den Gesundheitswert der vitaminreichen Obstprodukte. So wurde um die Dörfer herum die Anlage von Streuobstwiesen gefördert und zum Teil auch erzwungen. In unserer Region beschränkte sich die Anlage aber immer auf die weniger fruchtbaren Lagen mit Ton- oder Kalkböden oder auf sehr hügelige Lagen. Oft wurden diese Flächen in Form einer Allmende gemeinschaftlich bewirtschaftet.
In anderen hügeligeren Regionen mit weniger wertvollen Böden, wie z. B. der Schwäbischen Alb, Thüringer Wald oder dem Siebengebirge nehmen die Streuobstweisen bis zum heutigen Tage
landschaftsprägende Bedeutung ein.
In den Streuobstwiesen haben sich spezielle Pflanzengemeinschaften angesiedelt, die an vielen anderen Stellen selten geworden sind. Weiterhin findet man dort auch viele seltene Vogel-,
Insekten- und Amphibienarten. Nur durch Bewirtschaftung bleibt dieses vom Menschen geschaffene Biotop erhalten.
In den Mangeljahren nach dem zweiten Weltkrieg hatten die Streuobstwiesen auch messbare Bedeutung zur Obstversorgung.
Der Niedergang der Streuobstwiesen in den folgenden Jahrzehenten hatte mehrere Gründe:
Im Bewusstsein, dass der Erhalt solcher ökologischen „Highlights“ wichtig ist und der Erhalt nur in gemeinsamer Anstrengung möglich sei, wurde 1994 der „Landschaftspflegeverband Wolfenbüttel“ gegründet.
Dort engagieren sich Umweltverbände, Bauernverband und der Landkreis Wolfenbüttel gemeinsam für den Erhalt kulturhistorisch und ökologisch bedeutsamer Biotope. Im Vordergrund stehen dabei die Pflege und der Erhalt der im Landkreis verbliebenen Streuobstwiesen.
Junge Paare, die die dortige Abgeschiedenheit dazu genutzt haben, Dinge zu tun, die in der Enge und Öffentlichkeit des Dorfkerns nicht lange ungesehen geblieben wären, haben sich mit Einritzungen von Namen und Jahr dort verewigt. Aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes erfolgt an dieser Stelle keine Namensnennung. Die ältesten Einritzungen sind von 1920. Das Haus muss also vor 1920 gebaut sein. Auf den ältesten Bildern des Hauses haben die Bäume auch schon eine erhebliche Größe. Daher ist das Gesamtalter der Anlage mit der Jahrhundertwende ca. 120 Jahren nur näherungsweise zu bestimmen.
Historisch gesehen war ein Teil des Grundstücks in der Vorzeit ein Kalksteinbruch. Viele Häuser und Grundstücke in Groß Denkte gründen auf Kalkmergel aus diesem Gebiet der Asse.
Weitere alte Steinbrüche befinden sich nördlich unterhalb der Schwarzkiefern.
Nach Aufgabe des Kalkabbaus blieb ein Grundstück zurück, auf dem, bedingt durch das Relief und den kargen Boden Ackerbau gar nicht und Schnittnutzung als Wiese nur sehr eingeschränkt möglich war.
Zu diesem Zeitpunkt hatte die Streuobstwiesennutzung in Deutschland noch eine recht hohe Bedeutung. Deswegen erschien diese Nutzung als für das Grundstück sinnvoll. Da der flachgründige und kalkhaltige Boden sich gut für die Süßkirsche eignet, wurden fast ausschließlich Süßkirschen und nur auf den tiefgründigeren Stellen Apfel- und Pflaumenbäume gepflanzt.
An anderen Stellen des Geländes mit tonigem Untergrund wurden, die zahlreichen auf dem Grundstück entspringenden Quellen nutzend, Teiche angelegt, die zwischenzeitlich auch wirtschaftlich betrieben wurden.
Die auf dem Grundstück befindlichen Quellen weisen die Besonderheit eines extrem hohen Kalkgehaltes auf. Es sind sogenannte „Kalksinterquellen“. Von dieser Art Quellgebieten gibt es in Niedersachsen nur sechs Stück. Daher wurde ein Teil des Grundstücks schon früh unter dem damaligen §30 des Niedersächsischen Naturschutzgesetzes gesichert. Die Quellen schütten unabhängig von der Jahreszeit die gleiche Wassermenge mit der gleichen Temperatur aus.
Bis 1978 bildete die Fläche eine Teilgrundlage für die Schafherde des Betriebs Schliephake, heute Löhr. Aus wirtschaftlichen Gründen wurde die Schafhaltung zu diesem Zeitpunkt aufgegeben. Von Familie Dohlenburg wird allerdings bis heute eine größere Schafherde in Groß Denkte gehalten.
Die in den folgenden Jahren nur zeitweilige Beweidung führte in der Folge zu einer beginnenden Verbuschung von Teilflächen.
2005 kam der Entschluss der Eigentümerfamilie das Grundstück neu einzuzäunen und dort eine Damwildherde mit der Pflege des Grünlands zu „beauftragen“. Die dauerhafte Abweidung führte in den folgenden Jahren zu einem Zurückdrängen von kleinen Büschen und Bäumen und zu Revitalisierung des Grünlandbestandes.
Bis nach 1945 erfolgte die Nutzung der Obstbäume durch den eigenen Betrieb. Danach war die Obstnutzung für ca. 60 Jahre an die Denkter Familie Kapusta verpachtet.
In den ersten Jahren war die Obstnutzung ein einträgliches Geschäft.
Die Intensivierung des Obstbaus in Plantagen, mit Kleinbäumen, die eine leichte Ernte erlauben, erhöhte den Konkurrenzdruck immer mehr. Steigende Lohnkosten und auch das Risiko der Arbeit auf langen Leitern, führte letztendlich dazu, dass die wirtschaftliche Nutzung eingestellt wurde.
Auch die steigenden Kundenansprüche in Sachen Qualität führten dazu, dass es ohne eine Nutzung von Insektiziden nicht möglich war, die Früchte frei von Stichen der Kirschfliege und den sich aus der Eiablage entwickelnden Maden zu halten.
Die Kirschen werden heute nur noch privat genutzt. Die Nutzung der Falläpfel ist nicht möglich, da die vierbeinigen Bewohner meist schneller beim Entdecken der schmackhaften Früchte sind, als wir Menschen.
Wer genau hinsieht merkt auch, dass die unteren Äste der Bäume auf ca. 1,20 Meter Höhe, wie mit dem Rasiermesser, abgeschnitten sind. Hierfür sorgen die Hirsche, die die niedrigeren frischen Triebe nachhaltig abweiden. Mit etwas Glück kann man in der Reifezeit der Kirschen Anfang Juli auch einen Hirsch auf den Hinterbeinen stehend bei der „Kirschernte“ beobachten.
Jedes Jahr werden 10 bis 15 Bäume in Privatinitiative nachgepflanzt, um den Bestand dauerhaft zu erhalten. Gefördert werden die Kosten für das Baummaterial durch das „Braunschweiger Modell“ des Landkreis Wolfenbüttel. Aufgrund des trockenen Standorts und auch zum Teil durch Wühlmausverbriss wächst nicht jeder Baum an und muss zumindest in den ersten beiden Jahren intensiv gewässert werden. Dieses kostet insbesondere viel Zeitaufwand.
Da die Hirsche auch Appetit auf die Rinde frisch gepflanzter Bäume haben, bedürfen die jungen Bäume eines intensiven Verbiss Schutzes. Daher werden die Obstbäume mit Drainagerohren und Schutzgittern geschützt. Nach einer Zeit von 10 bis 15 Jahren ist die Rinde offensichtlich so wenig schmackhaft, dass diese dann in Ruhe gelassen wird.
In Wittmar, Landkreis Wolfenbüttel, befindet sich eine alte Streuobstwiese. Geht man vom großen Parkplatz an der Assewirtschaft über die Liebesallee Richtung Bismarckturm, liegt sie rechts am Weg.
Der Heimat- und Verkehrsverein Asse hat diese Wiese gepachtet und seit 2020 wieder hergerichtet. So kann man nun auf 110 alte und zum Teil sehr seltene Obstbäume blicken und sich an über 70 neu gepflanzten Bäumen erfreuen. Ein schöner Anblick sind auch die Schafe, die dort bei Bedarf die Wiese beweiden. Um diesen (und auch Wild) den Appetit an den Bäumen zu nehmen, mussten diese mit Verbiss-Schutz versehen werden.
Das Angebot des Heimat- und Verkehrsvereins Asse an den Hospizverein Wolfenbüttel, dass sich Trauernde (seien dies Kinder, Jugendliche oder Erwachsene) einen Gedenkbaum für Verstorbene wählen können, wurde bereits mehrfach in die Tat umgesetzt und ebenso gibt es bereits Bäume, die jungen, munteren Erdenbürgern gewidmet sind. Bäume, besonders früchtetragende, sind voller Symbolik, durchlaufen sie doch in einem Jahr einen ganzen Lebenszyklus.
Nistkästen, ein Blühstreifen und die geplante Nisthilfe für Wildbienen erweitern den Einblick in die Natur und schärfen das Bewusstsein dafür, dass alles mit allem verbunden ist.
Heidi Wypich, April 2023